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Christiane Michel-OstertunChristiane Michel-Ostertun

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Das Gleichnis vom verlorenen Sohn

Oratorium mit szenischen Elementen

für Altus (jüngerer Sohn), Tenor (älterer Sohn), Bass (Vater) und Alt (Mutter und Erzählerin), zwei Chöre, Kinderchor und Kammerorchester

Einführung in das Libretto (Pfarrerin Dorothee Löhr)

Auf der Grundlage eines der bekanntesten Bibeltexte und ergänzenden Texten von Ulrike Krumm hat Christiane Michel-Ostertun das bis heute aktuelle Thema vertont, in dem es um die Gerechtigkeit der Gottesliebe geht, um die Perspektive Gottes auf die verschiedenen Bedürfnisse und Charaktere der einzelnen Menschen.

Der verlorene Sohn, der sich schuldig gemacht hat, schafft den Schritt zur Umkehr. Die Freude darüber öffnet den Weg zur Versöhnung.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt eigentlich von zwei verlorenen Söhnen – der jüngere geht in der Fremde verloren und kehrt um, aber auch der ältere, zu Hause gebliebene Sohn geht in seinem Neid verloren. Beide Söhne brauchen die liebevoll auffordernde Zuwendung des Vaters, er kommt beiden Söhnen entgegen, auch wenn in der Geschichte noch offen bleibt, ob der ältere Sohn sich am Ende versöhnen lässt und mitfeiert.

Das Gleichnis aus dem 15. Kapitel des Lukasevangeliums ist eingebettet in mehrere Gleichnisse darüber, dass Jesus die „Verlorenen“ sucht, einlädt und anspricht. Diese Botschaft von der „ungerechten Liebe Gottes“ ist und war schon immer umstritten und ist gerade darin aktuell. Die Kontroverse um die Botschaft Jesu bildet sich in der Zweichörigkeit des Oratoriums dramatisch ab:

Die Perspektive der Außenseiter kommt schon im ersten Chor zu Wort: „Wir sind bekannt als Sünder, man meidet uns sonst allgemein…“, während andere die Gegenmeinung der Pharisäer präsentieren: „Weißt du nicht, wer da mit dir isst? Es sind Gesetzesbrecher. Sie sehen, dass du freundlich bist und werden immer frecher...“

Mit einem biblischen Zitat (Jesus Sirach) wird vom Fernchor die Weisheit Gottes besungen und der Prolog abgeschlossen.

Der 1. Akt entfaltet die biblische Erzählung vom Weggang des jüngeren Sohnes und wo er landet.

Im Rezitativ erklingt der biblische Text. Arien für den Vater, die beiden Söhne, für die (in der Bibel fehlende) Mutter und Chöre für die Kinder und das Gesinde beleuchten die Geschichte psychologisch: Das Gleichnis von den beiden verlorenen Söhnen erzählt unsere je eigene Familiengeschichte mit den typisch menschlichen Spannungen.

In der Fremde singen die falschen Freunde im spannungsreichen 7/8 Takt: „Wir lieben dich alle“, während der andere Chor gleichzeitig die kritische Position markiert: „Ist es das Leben, von dem du geträumt? Du lachst und hast Spaß und vergisst, was du wirklich versäumt.“

Die Erzählerin führt dann die biblische Erzählung bis zum Tiefpunkt der Verarmung des Sohnes und der Verlassenheit bei den Schweinen. Da erklingt die Melodie des Luther-Chorals „Aus tiefer Not“ mit einem modernen Text, der die Umkehr und Heimkehr des Sohnes einleitet. Nach der Freiheits-Arie des Sohnes kommentiert der Chor mit dem Psalmwort (Ps 124,7) „Seine Seele ist entronnen wie der Vogel dem Netze des Vogelfängers und er ist frei.“

Der 2. Akt erzählt die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Die Kinder beschreiben die elende Gestalt eines Landstreichers, der Vater erkennt ihn als seinen Sohn und lädt alle zum Freudenfest ein. Diese Einladung wird wiederum kontrovers kommentiert und führt in die großartige Chor-Fuge „Du hast meine Klage in Reigen verwandelt. Du hast mein Trauergewand gelöst und mich mit Freude gegürtet“ (Ps 30,12)

Im 3. Akt geht es um die Reaktion der Eltern, der Kinder und des Gesindes (auf die Melodie des Chorals „Du meine Seele singe“) und des älteren Bruders: „Das ist ja wirklich krass, unglaublich find ich das. Dass der sich hergewagt, ich hätt ihn weggejagt…“, was mit der „Neidstrophe“ des Chorals „Die güldne Sonne“ von Paul Gerhard kommentiert wird: „Lass mich mit Freuden ohn alles Neiden sehen den Segen, den du wirst legen auf meines Bruders und Nähesten Haus…“ Nach den Arien von Vater und Sohn endet der Schlusschor mit einem biblischen Kommentar (aus dem Philipperbrief 4,4-5): „Freuet euch in dem Herrn alle Wege… der Herr ist nah!“ Mit ihm besingt der Chor die Freude über das Kommen des Gottessohnes so strahlend und hoffnungsvoll, dass die im biblischen Gleichnis noch ausgebliebene Versöhnung zwischen den Menschensöhnen am Ende doch als Möglichkeit aufscheint.